Tom Wolfe: Wahrheit oder Lüge im Roman
"Die eigentliche Tätigkeit des Schriftstellers besteht ja nicht darin, die buchstäbliche Wahrheit aufzuschreiben - aber ist deshalb alles gleich gelogen? Es steht doch auf dem Buchcover: "Ein Roman". Alles, was ich recherchiert habe, muss irgendwie zu der Psychologie der Figur passen. Es ist wie in der Geometrie: Man hat zwei Linien. Was Zola "dokumentieren" nannte, ist die Horizontale, und die Vertikale Linie ist die Psychologie der Firguren: Man kann innerhalb eines realistischen Romans alles tun, was man auch in anderen Formen erreichen kann. Ich lese doch, um zu erfahren, was andere Menschen tun und denken, um etwas Neues zu entdecken. Ich liebe es auch, Figuren bei ihrer Arbeit zu zeigen. Es gibt heute viele Romane mit Ärzten, Anwälten oder Geschäftsleuten, doch man erlebt sie kaum je bei der Arbeit. Warum? Weil der Autor nicht weiß, was sie genau tun."
aus: "Ich verstehe oft nicht, was ich sehe" - Interview mit Peter Körte und Martin Scholz - Frankfurer Allgemeine Zeitung 13.10.1999