Reinhard Kaiser-Mühlecker: Was beim Schreiben zählt
"Um eine Geschichte erzählen zu können, muss ich mich innerlich anschließen an etwas, das ich von Grund auf kenne, von dem ich durchwirkt bin, ja das ich selbst bin, ob ich will oder nicht. Freilich ist es mitunter eigenartig, von einer Welt zu berichten, deren Bewohner es nicht im geringsten kümmert, ob man über sie schreibt oder nicht, die auf den Zeugen, den Chronisten oder wie immer der sich nennen mag, getrost verzichten könnten. Zugleich habe ich dadurch freie Hand, denn ich fühle keine Blicke auf mir.
Ja, man sollte sich frei machen von den Blicken anderer. Das ist meine Vorstellung von Unabhängigkeit und mein Ideal, auch, was das Schreiben betrifft, Kurz gesagt, ein Schriftsteller sollte auf die Tafel schreiben, was er will. Im Schreiben, wie ich es verstehe, zählt nur das Eigene; das macht es aus: Die Stimme, der Stoff. Zu beidem muss man Mut haben, zu beidem muss man sich bekennen. Muss einem ja nicht gefallen, diese Stimme, muss einem ja keinen Spass machen, dieser Stoff. Aber man hat nichts anderes. Und auch das Nacheifern sollte man lassen, denn die, denen man nacheifert, die gab es schon. Alles, was man braucht, trägt man bei sich. Man muss nur die Augen zumachen und schauen und hören und fühlen, sich erinnern an Gewesenes und nicht Gewesenes. Jeder weiß, was ihn beschäftigt, nicht loslässt, quält, jeder kennt sein Feld, sein Thema, sein Problem." (Im S. Fischer Verlag erschien 2020 der Roman "Enteignung" des österreichischen Schriftstellers)
Reinhard Kaiser-Mühlecker "Was ist der wichtigste Beruf? Wie ich Schriftsteller geworden bin" aus der Dankesrede für den Anton Wildgans-Preis