Javier Marías: Wirklichkeit in Fiktion verwandeln

"Der Romancier erzählt seine Geschichte zu Anfang niemand anderem als sich selbst, aber wenn ich sie bereits von vorne bis hinten kenne, wie soll ich mich da nicht langweilen - und schlimmer noch, es die Leser spüren lassen -, da ich mich beim Schreiben auf etwas Mechanisches beschränke, es mit Form, Pausen, Stil und Rhythmus versehe, ohne dass für mich eine Überraschung oder Entdeckung dabei ist, ohne dass ich bei dieser Arbeit etwas erfahre oder ergründe, das heißt etwas erfinde, denn entdecken, finden, ergründen sind die Bedeutungen des lateinischen Verbs 'invenire', von dem, von dem unser spanisches "inventar" abstammt, ebenso inventer, to invent oder inventare."

"Wen man etwas erzählt oder in die Fiktion überführt, das tatsächlich stattgefunden hat, klingt es nur dann annehmbar und wahrscheinlich, wenn es den Filter der Vorstellung durchlaufen hat, wenn man fähig ist, es so zu erzählen, als hätte es sich in Wirklichkeit gar nicht zugetragen."

aus: "Beginnen wir mit dem Anfang" von Javier Marías - Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.9.2015