Autorenbrief Juli 2020: Ich saß am Drehbuch und habe beim Schreiben geweint

 Liebe Autorinnen und Autoren,

eigentlich sei er ein enttäuschter Romanautor, verriet der spanische Filmregisseur Pedro Almodóvar einem Reporter des New Yorker, - obwohl er seine Drehbücher selbst schreibt. Und mit seinen Filmen (z.B. "Schlechte Erziehung“, Sprich mit ihr“, "Die Asche meiner Mutter“) schon Unsterblichkeit verdient hat. In seinem zuletzt erschienen Kinofilm „Leid und Herrlichkeit“ hat er sich dann auch autofiktionell verewigt – mit einer Figur, die, wie er sagt, stark autobiografische Züge trägt. "Beim erneuten Lesen (des Drehbuchs) hatte ich das Gefühl, das bin ich. Das fühlte sich gut an. Da waren einzigartige und sehr bewegende Momente dabei, vor allem dort, wo es um meine Kindheit und Mutter geht. Ich saß am Drehbuch und habe beim Schreiben geweint", erklärte Almodóvar dem Interviewer des k-at-Newsletters.

Christopher McCandless ist nicht nur durch sein verstörendes Tagebuch, sondern durch Jon Krakauers Biografie „In die Wildnis – Allein nach Alaska“ bis heute ein Idol der zivilisationsmüden Jugend. Krakauer verfolgt den viermonatigen Überlebenskampf des sensiblen 24jährigen McCandless, der versucht hatte, in der Wildnis Alaskas ohne Hilfe ein autarkes Leben zu führen. Das Wrack des ehemaligen Linienbusses 142, in dem er lebte, wurde kürzlich entfernt, weil immer wieder Besucher in Lebensgefahr gekommen waren bei der Suche nach dem Originalstandort. Sean Penn verfilmte das kurze Leben des jungen Aussteigers, der in der Wildnis verhungerte. Rekonstruieren ließ sich sein Ende nur anhand seines Tagebuchs.

Beim Schreiben Ihres Tagebuchs kommunizieren Sie mit Ihrem Inneren, sagt Tristine Rainer, die in ihrem Buch Techniken, Mittel zur Selbsthilfe und Werkzeuge zur kreativen Gestaltung vorstellt. Indem Sie Ideen und Texte in Ihrem Tagebuch sammeln, entfalten Sie Ihr schriftstellerisches Potenzial. Tristine Rainer: Tagebuch schreiben, 192 Seiten, Hardcover, 18 Euro versandkostenfrei.

Frédéric Beigbeder gibt zu, dass er eine Faszination für das Böse hat und tröstet sich und seine Kollegen mit der Erkenntnis: “Viele geniale Schreiber waren Bad Boys. Eine Welt, in der alle Künstler auch nette Kerle sind, verständnisvoll, sanft und höflich, existiert nicht. Künstler sind häufig egozentrische und launische Psychopathen. Ich liebe Charles Bukowskis Bücher, aber ich bin nicht sicher, ob Frau Bukowski ein angenehmes Leben hatte. Nette Menschen machen selten Meisterwerke, von Marcel Proust mal abgesehen.“

Spezialist für sympathische Bad Boys ist Larry Beinhart, sein Handbuch für Krimi- und Thrillerautoren ist ein Klassiker, wenn es um die Figurenbildung im Spannungsroman geht: Larry Beinhart: Crime, 235 Seiten, Dritte Auflage, Hardcover, 16,80 Euro

Einen Erpresserbrief in literarischer Gestalt (Hertha Müller-inspiriert?) erhielt 2013 die Firma Bahlsen als der vergoldete „Leibniz-Keks“, das Firmenwahrzeichen vom Haus verschwunden war. Der oder die Erpresser hatten ein kleines Schriftkunstwerk zusammengeklebt. In dem wurde verlangt, eine Schokoladenkeks-Spende an ein Kinderkrankenhaus und tausend Euro an ein Tierheim zu zahlen. Unterschrift: das Krümelmonster. Der goldene Keks kam zurück zu seinem Besitzer, und Bahlsen machte eine große Keksspende, aber wer den kunstvollen Erpresserbrief verschickt hatte, ist bis heute ein Rätsel.

Das Autoren-Team Patrick Rottler und Leo Martin hat gerade zum Thema Schriftanalyse das Buch „Die geheimen Muster der Sprache“ herausgebracht. Behandelt wird, wie sie an der Aufklärung von Erpresserbriefen und falschen Testamenten arbeiten - vielleicht interessant für Romanautoren?

Ein Tipp zum Schluss: Jeden Montag erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Comic Strip "Glückskind" von Flix (Felix Görmann – Cartoonist, Autor und Comiczeichner) über einen Schriftsteller, der seine Mühe mit dem Schreiben hat -  manchmal ein echter Wiedererkenner. Gesellschaft leistet ihm sein überkluges Töchterchen und deren Freund, der Waschbär. www.der-flix.de

Mit herzlichen Grüssen 
Ihre Gerhild Tieger